Newsletter Nr. 4 von Familie Steffen 11/2020
Akklimatisiert!

Liebe Freunde,

schon bald 5 Monate leben wir nun in Curahuasi und haben uns inzwischen an die Höhenluft auf 2'700msm gewöhnt und uns auch sonst schon ganz gut eingelebt. Dieser Newsletter ist längst überfällig, doch eine Typhus-Infektion hat mir die letzten Wochen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ich war einige Tage hospitalisiert (natürlich hier im Diospi, s. Bild) und musste währenddessen auch meine Gallenblase entfernen lassen, da sich diese im Sinne einer Komplikation des Typhus (keine Gallenblasensteine) infiziert hatte. Nach insgesamt zwei Wochen Bettlägerigkeit geht es mir Gott sei Dank wieder gut und Claudias Kochkünste machen es mir leicht, die verlorenen 10kg meinem Körpergewicht langsam wieder hinzuzufügen...

Dank einem gottgeführten TV-Interview (Link) bei welchem unser Leiter Dr. Klaus John vor dem Haupteingang der nationalen Ärztekammer etwas Druck auf die trägen und wortbrüchigen peruanischen Behörden ausüben konnte, habe ich nach Ankunft ziemlich bald schon eine temporäre Arztlizenz erhalten. Daher habe ich bereits Anfang August, einen Monat früher als geplant, die Arbeit im Krankenhaus aufgenommen. Ich bin im Hospital als "Allgemeinchirurg und Traumatologe" angeschrieben und kümmere mich aber ausschliesslich um die Unfallchirurgie. Die Bauch-Chirurgie wird nämlich bereits von meiner Kollegin Olga Koop bestens abgedeckt. Wenn sie jedoch mal für ein Wochenende wegfahren möchte oder wie jetzt im Dezember Ferien hat, dann übernehme ich natürlich gerne auch mal eine notfallmässige Blinddarmentfernung.

Bild: oben unser cooles Ärzteteam und unten links ein durchnässtes Schweisstuch an meiner Stirn nach abgeschlossener OP der Femurfraktur vom Röntgenbild rechts.

Olga und ich sind für Notfälle der Viszeral- resp. Unfallchirurgie jeweils 24 Stunden und 7 Tage die Woche auf Abruf. Da dies auf die Dauer auch eine Belastung werden kann, ist man froh wenn man ab und zu auch mal wegfahren kann. Am besten an einen Ort wo das Handy keinen Empfang hat, wie auf dem Bild unten, welches mich mit den Diospi-Lehrern Matthias und Jonathan auf dem Ampay auf 5'000msm zeigt.

Claudia hat kurz nach mir, Mitte August, ihre Arbeit als Leiterin des Diospi Suyana Kindergartens angefangen. Ihr Team, welches für den Vorschul-Unterricht von ca. 100 Kindern im Alter von 3-5 Jahren verantwortlich ist, besteht aus 4 Vollzeit-Kindergarten-Lehrerinnen sowie als Teilzeit-Unterstützung einer Psychologin, einer Sozialpädagogin und einer Sportlehrerin. In Nicht-Corona-Zeiten ist in jedem der 4 Klassenräume zusätzlich jeweils noch eine Hilfskraft engagiert.

Bild: Claudias Team bei einer Sitzung im Büro, beim Drehen der Instruktionsvideos und mit dem Schuldirektor Christian Bigalke (unten mittig).

Hier schreibt Claudia über ihre Arbeit:
"Inmitten dieser Pandemie konnte ich in den letzten Monaten Gottes Gnade an diesem Ort sehen, mit jeder Familie, die wegen der Pandemie ganz unterschiedlichen und teils sehr schwierigen Situationen ausgesetzt war. Ich hatte die Gelegenheit, die Arbeit der Vorschul-Lehrerinnen zu unterstützen und ihnen bei ihrem Arbeitsplan zu helfen. Es ist eine grosse Herausforderung für die Lehrer, auf Distanz zu unterrichten. Sie versenden täglich ein Instruktions-Video an die Eltern ihrer Kinder und erhalten auch per Video Rückmeldung über das Ausführen der Aktivitäten. Jeweils Montags werden Arbeitsmaterialien mit einem Auto (s. Foto unten) an verschiedenen Orten im Distrikt ausgeteilt respektive eingesammelt. Jeden Freitag rufen die Lehrer alle ihre Kinder an, um mit Ihnen die Hausarbeiten der Woche zu besprechen und auszuwerten. Für die Schüler und ihre Familien ist dieser Fernunterricht eine unerwartete Erfahrung mit zu vielen Herausforderungen! Ich danke Gott, dass trotz dieser Ausnahme-Situation, das Team alles gegeben hat, um einen Studienplan aufzustellen, der darauf abzielt, die Fähigkeiten unserer Schüler maximal weiterzuentwickeln. In diesen Monaten haben wir als Team auch Schulungen erhalten, die uns über die staatlichen Richtlinien und Anforderungen informierten, die das peruanische nationale Bildungsprogramm auf Vorschulniveau in jeder Einrichtung erfordert. Letzte Woche, nach 9 Monaten Fernunterricht, haben wir in der Schule eine kleine Evaluation
(mit persönlicher Präsenz, s. Fotos unten) der Kinder durchgeführt, die im März 2021 in die erste Klasse der Grundschule eintreten werden. Die Kinder zeigten überschwängliche Freude endlich wieder einmal für einen Tag die Schule besuchen zu können. Wir bitten Gott, dass wir nächstes Jahr in unsere Klassenzimmer zurückkehren und den Kindern wieder nahe sein können! Die Lehrer vermissen ihre kleinen Schüler."

Unsere Arbeit hier ist sowohl für Claudia als auch für mich sehr herausfordernd und beansprucht viel Kraft und Zeit. Dank Elisabeth, unserer Nanny und Haushaltshilfe, sind die Kinder aber trotzdem gut versorgt, auch wenn wir an manchen Tagen beide bei der Arbeit sind. Eli kommt hier aus dem Dorf und hat bereits bei den Vorgängern in unserem Haus gearbeitet. Sie hilft uns viel im Haushalt und kann sehr gut mit den Kindern umgehen.

Bild: 1. August Feier mit (v. l. n. r.) Eli unserer Nanny, Martina und Klaus John und der Schweizer Krankenschwester Ricarda Wiederkehr. Es gab improvisiertes Käse- und zum Dessert auch noch Schoggi-Fondue. 

Bei Diospi Suyana gilt eigentlich die Devise, dass man als Ehepaar zusammen mind. 100 Stellenprozent arbeitet. Claudia und ich haben uns inzwischen auch auf mehr oder weniger fixe Arbeitszeiten festgelegt: Claudia arbeitet Montag, Mittwoch und Donnerstag und ich Montag, Dienstag und Donnerstag. Bei mir sind die Arbeitszeiten jedoch sehr unterschiedlich und ich muss flexibel sein. An den genannten Tagen biete ich Sprechstunden an und versuche meine OPs wenn möglich auf diese drei Tage zu planen. Da sich aber die Unfälle nicht an meine Arbeitszeiten halten, kann ich viele Eingriffe halt nur bedingt planen und so kommt es oft vor, dass ich auch an den eigentlich "freien" Tagen operiere. Ich arbeite aber insgesamt meistens weniger Stunden pro Woche als ich das in der Schweiz getan habe. Als Ehepaar zusammen arbeiten wir jedoch weit mehr als 100%, da wir aber Eli für die Kinderbetreuung haben, ist das bisher auch kein Problem.

Bild: Oben eine Schienbeinfraktur nach Motorradunfall und unten eine kindliche Ellbogenfraktur nach Treppensturz.

Gerade die letzten paar Wochen vor meiner Erkrankung waren sehr anstrengend. Zuerst kam für eine Woche ein Filmteam aus Deutschland vom Sender ARTE/ARD. Dieser produziert einen Dokumentarfilm über Diospi Suyana, bei welchem zwei Beispiel-Familien kurz vor und nach der Ausreise begleitet werden. Sie drehten mit uns und unseren neuen Nachbarn der Familie Lächele während einer Woche bei der Arbeit und auch privat zu Hause (s. Bild unten). Zusammen mit den Aufnahmen, welche sie bereits im Juni bei uns in der Schweiz gemacht hatten sollte unsere ganze Ausreise sehr schön verfilmt werden. Der Film soll voraussichtlich erstmals am 23. Dezember um 19:40 Uhr auf ARTE ausgestrahlt werden. Sicher kann der Film aber auch nachher noch auf der Homepage von ARTE und voraussichtlich auch noch auf anderen Kanälen (ARD, SWR, Deutsche Welle) gesehen werden. Wir werden zu gegebener Zeit dann sicher die Links an euch verschicken.

Kaum war das Filmteam abgereist und die anstrengenden Drehtage vorbei, geschah in der Nähe von Curahuasi ein schwerer Autounfall mit einer Toten und fünf Verletzten. Vier von diesen Patienten hatten Oberschenkelfrakturen (s. Bild unten) und brauchten eine Operation. Diese Eingriffe haben mich stark herausgefordert, da sie bei uns in der Schweiz eher selten waren. Solche schweren Verletzungen und auch Todesfälle sind bei Verkehrsunfällen hier leider häufig, da die Verkehrssicherheit sehr schlecht ist. Dies hat verschiedene Gründe: die Fahrzeuge werden nicht ausreichend gewartet oder nur notdürftig repariert, die Strassen hier in den Bergen sind gefährlich mit engen Kurven und steilen Abhängen, der Fahrstil ist dafür aber eher rasant und hinzu kommt, das viele Leute schlicht nicht angegurtet sind oder auf dem Motorrad keinen Helm tragen. Die meisten meiner Patienten haben sich entweder im Strassenverkehr oder bei der Arbeit (v.a. Landwirtschaft und Bau) verletzt. Hinzu kommen Unfälle beim Fussballspielen, Stierangriffe und Treppenstürze. Viele kommen erst Tage oder sogar Wochen nach dem Unfall und manche haben auch schon eine fehlgeschlagene Behandlung durch irgendeinen "Curandero" oder "Huesero" hinter sich. Dabei handelt es sich um ominöse Heilpraktiker, deren Methoden oft den schulmedizinischen Kenntnissen widersprechen oder sogar eher okkulten Hexenpraktiken gleichen.

Da unser letzter Rundbrief schon 4 Monate zurückliegt ist dieser nun etwas länger geworden. Ich könnte noch von vielen tragischen Geschichten schreiben und schlimme Röntgenbilder dazu zeigen, aber ich will jetzt abschliessen und mich in Zukunft bemühen etwas häufiger, dafür kürzer zu berichten.

Wir sind von Herzen dankbar für alle finanziellen und auch geistlichen Unterstützer, die unsere, für die Menschen hier so wertvolle, Arbeit überhaupt erst möglich machen. Wir fühlen uns von Euch getragen und wollen mit Euch über die Distanz hinweg verbunden bleiben! In diesem Sinne senden wir Euch ganz herzliche Grüsse aus Peru.

Eure Familie Steffen

PS: Für die die noch nicht genug haben, hänge ich noch ein paar Bilder an.

Bild: Unsere beiden Jungs Samuel (3) und Nathan (1) bereiten uns jeden Tag viel Freude!

Bild: An meinem Geburtstag waren wir ein langes Wochenende im heiligen Tal der Inkas in Urubamba.

Bild: Yolanda (30) in blau gewinnt einen grossen Geschenkkorb, da sie die Marke von 400'000 Patientenbesuchen bei Diospi Suyana geknackt hat. Als letzte OP vor meiner Typhuserkrankung habe ich ihr eine mehrfragmentäre Unterschenkelfraktur mit einer Platte operiert.

Bild: Bereits zweimal haben wir die Kinder einen ganzen Tag mit Eli gelassen um nur zu zweit nach Cusco zu fahren. Wir genossen ein romantisches Essen im Restaurant und machten Grosseinkauf.

Bild: Schon an einigen Samstagen sind wir die 1'000 Höhenmeter runter an den Apurimac-Fluss gefahren. Dort ist es heiss und man kann schön baden. Die langärmelige Kleidung ist den vielen lästigen Stechfliegen geschuldet.

Bild: Unsere beiden Jungs in der Sonntagsschule der lokalen Gemeinde "Asambleas de Dios".

Spenden an: IBAN: CH92 0900 0000 8004 2881 3
SMG, Industriestrasse 1, 8401 Winterthur, Verwendungszweck: Lukas + Claudia Steffen
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